Hallo liebe Wut! Ich hasse dich, ich liebe dich. Du bist mir größtes Ärgernis, doch ohne dich hätte ich wiederum vieles nicht erreicht. Jedenfalls haben du und ich ein Thema, das merk ich wohl. Bist du nun echt meine Freundin, wie Wut-Pädagog*innen gerne behaupten? (So etwa gehört und gelesen bei Ruth Abraham oder Kathrin Hohmann.) Oder darf ich getrost weiter auf dich wütend sein, weil du mich so anstachelst, so schwarzmalerisch werden lässt und mich auf Distanz bringst zu all den anderen? Und wenn auch nur für einen Moment. Und erst die Scham danach, das schlechte Gewissen nach einer Schimpforgie …
Gut, seit der Wutbürger schick wurde und der Gutmensch/die Gutmenschin nun auch mal auf den Tisch hauen darf, geht es mir schon bedeutend besser. Hätte es die „Climate Change“-Bewegung ohne Wut je gegeben?? Und so erlebe ich eine allmähliche Annäherung an die Wut, die mich seit frühesten Kindheitstagen begleitet und die ich so schön regelmäßig bei meinen eigenen Kindern wiederentdecken darf. Häh, ist Wut etwa vererbbar? Oder ist Wut einfach allgegenwärtig, aber der Umgang damit ein grundverschiedener? Sind die Leisen nie wütend oder brüllen sie nur sanfter? Muss Wut überhaupt laut sein? Und wann ist Wut so richtig angebracht?
Chiani-Sophia Hoeder hat mit „Wut und Böse“ ein engagiertes Sachbuch vorgelegt, das Wut und Feminismus verknüpft. Und Britta Teckentrup hat mit „Wütend“ ein Kinderbuch auf den Markt gebracht, das in beeindruckenden Bildern den Verlauf der Emotion Wut nachvollziehbar macht. Mit diesen beiden Werken starte ich meine noch andauernde Reise ins Reich der „Wut“. Beiden gemein ist, dass Wut nicht ungehörig ist und weg soll, sondern ein wichtiger Hinweis auf Wahrung der eigenen Grenzen und Veränderungswille ist. Ich versuch mich dran zu erinnern, wenn mich mal wieder die Wut packt oder eins meiner Kinder.;-)
Die politisierende Wut in „Wut und Böse“
„Wut und Böse“ ist aus drei Gründen interessant. Erstens ist es ein Wutpanoramabuch. Es kreist die Wut von verschiedenen Seiten systematisch ein, lässt Wutforscher*innen zu Wort kommen, aber auch private Umfragen im persönlichen Umfeld fließen ein. Es wird von Wutmüdigkeit genauso gesprochen wie von kanalisierter Wut bis hin zum Verhältnis von Wut und Scham. Hoeder stellt klar, mit Lächeln kannst du dich nicht oder nicht nachhaltig gegen Gewalt wehren. Dennoch ist auch klar, Wut ist nicht nur schön. Sie fühlt sich nicht immer gut an. „Auch bei Wut gibt es den Morgen danach, der dem Zustand nach einer durchzechten Nacht ähnelt. Der Schädel brummt, in der Magengegend braucht sich ein ungutes Gefühl zusammen …“ Aber die Wut lässt uns im Grunde keine Wahl. Sie kommt, ob man will oder nicht, sie ist immer da, und das über alle Generationen hinweg, sie ist universell, sie betrifft Frauen und Männer gleichermaßen.
Nur stünde es insbesondere Frauen an, so Hoeders zentrales Argument, die Wut-Karte öfter zu ziehen. Denn Wut und Wert hängen zusammen. Es gibt keine „diplomatische Wut“. Das heißt, Hoeder rehabilitiert die Wut von Frauen. Das ist ein nicht zu unterschätzender Dienst und der zweite zentrale Grund, dieses Buch zu lesen. Denn Wut als produktive Kraft wird Frauen noch zu wenig zugestanden. Sie passt nicht zum Selbstbild freundlicher, wohlbesonnener Frauen. Daher gelten wütende Frauen schnell als hysterisch, keifend oder gar hässlich statt als ernst zu nehmende Kontrahentinnen. Dooferweise geht aber auch nichts weiter oder die Wut richtet sich im schlechtesten Falle sogar nach innen. Unterdrückte Kränkungen können in Krankheiten wie Depressionen, Essstörungen, Kopfschmerzen und Panikattacken münden. Das einzelne Wohlbefinden steht am Spiel, aber auch die politische Qualität der Gesamtgesellschaft.
„Die Folge von unterdrückter Wut ist Stillstand.“
Drittens ist dieses Buch eine tolle Einführung in feministische Zeitgeschichte mit besonderem Augenmerk auf Popkultur und die Erfahrungen Schwarzer Frauen und schwarzer politischer Aktivistinnen (z.B. Audre Lorde). Auch Transfrauen kommen zu Wort und Begriffe wie Cis-Frauen werden geklärt. Wow. Ich habe schon einiges gewusst, aber auch noch vieles dazu gelernt. Dabei kommt das ganze recht leichtfüßig daher, keine komplizierte Theorie. Bei Hoeder, die sich übrigens zu den sogenannten „Millenials“ zählt, merkt der Leser/die Leserin, dass sie als freie Journalistin und Gründerin eines Online-Lifestylemagazins auch komplexe Inhalte lebensnah und schnörkellos, jedoch zum Teil auch etwas schnoderig zu vermitteln weiß. Den in der Blogging-Szene üblichen Neu-Sprech muss man klarerweise mögen. (Ich tu das natürlich;-)
Und ich mag Hoeder für solche Dinge wie das Wort „Vorbilderinnen“. Auch das „wutlose Lexikon“ von „anstregend“ über „exzentrisch“ bis „unbeherrscht“ und „ungefickt“ ist spannend. Top ist, dass Hoeder bei aller Klarheit und persönlicher Involvierung in das Thema nie die Moralkeule schwingt. Der im hanserblau Verlag erschienene Titel „Wut und böse“ hätte daher gar nicht so reißerisch ausfallen müssen. Welches „Böse“ denn nun?
Wer sich modernen und schwarzen Feminismus gönnen will ohne zu viel theoretischem Überbau, dafür mit umso mehr Hinweisen auf die politische Macht von Wut, dem ist dieses Buch ans Herz gelegt.
Die rasende Wut im Kinderbuch „Wütend“
In Britta Teckentrups Buch „Wütend“ kommt die Wut rot und laut-brüllend in Form einer fliehend-rasenden Mädchengestalt daher. Wilde Tiere begleiten ihre Reise. Die Worte fegen nur so dahin, die Wut wird in viele unterschiedliche Verben gegossen, Superlative entstehen. Das Schriftbild wird dabei größer und größer, ein Crescendo, das unwillkürlich dazu einlädt, laut und lauter mitzusprechen. Bis die ganze Familie nur noch so schreit. Unsere Kinder lieben das. Wir alle lieben das. Weil es guttut, gemeinsam in die Welt raus zu schreien. Ich hoffe, die Nachbar*innen sehen das auch so.
„Ich sprühe, spritze, fege, jage, presche, stürme, lärme, schlage!“
Kein Stein bleibt auf dem anderen. Die Wut ist tosend. Sie muss raus. Die Wut ist laut Teckentrup laut und kraftvoll, sie gibt Mut und treibt Veränderungen voran. Und oft bleibt uns nur die Wut, um unsere Grenzen zu wahren.
„Ich war zu lange still, bitte sieh mich doch an. Ich bin nur so wütend, weil ich nicht anders kann.“
Und mit einem Schlag ist die Wut, dieses tosende Meeresungetüm, auch wieder vorbei.
„Jetzt ist alles raus. Ich fühle mich frei. Ich atme tief aus. Der Sturm ist vorbei.“
Am Ende des Buches verändern sich die Farben hin zu Blau und Weiß. Luft und Freiheit. Man spürt förmlich, wie sich die Lungen wieder füllen, der Herzschlag sich beruhigt und Ruhe einkehrt.
Dieses im Prestel-Verlag erschienene Buch setzt die starke Emotion „Wut“ bildgewaltig um. Mir gefällt, dass die Wut als brüllendes Mädchen gezeichnet ist, ganz eingenommen von dieser starken Emotion, die bildlich von außen und innen auf es hereinbricht. Dabei endet das Buch hoffnungsfroh, denn die Wut ist Auftakt für Neues.
Das Buch ist für Kindergartenkinder, aber auch für Erstleser*innen geeignet. Stichwort Wut in der Wackelzahnzeit und super Wortschatzerweiterung noch dazu. Der Verlag Prestel setzt by the way auf klimaneutrale Druckprodukte. Ich mag diesen Verlag. Echt wahr.
Und wann warst du das letzte Mal so richtig wütend??