Month: Mai 2023

„Serge“ von Yasmina Reza

Die Schriftstellerin Yasmina Reza kenne und bewundere ich spätestens seit der Verfilmung ihrer Romanvorlage „Der Gott des Gemetzels“ mit Jodie Foster, Christoph Waltz und anderen Hollywood-Granden. Beklemmend und mit viel Wortwitz spielt sich hier ein irre spannendes Sittenportrait großbürgerlicher Dekadenz ab. Nur auf die Idee gekommen, etwas von ihr zu lesen, bin ich nun doch wieder nicht. Und da leiht mir kürzlich eine gute Bekannte „Serge“ und ich finde das Buch von der ersten Seite an ungemein unterhaltsam. Eine jüdisch-französiche Familie besucht Auschwitz Auf Vorschlag von Serges Tochter Joséphine besuchen die drei nicht mehr ganz jungen Popper-Geschwister Serge, Jean und Nana gemeinsam Auschwitz, um ihren ungarisch-jüdischen Wurzeln nachzugehen. Selbst an diesem Ort geht das kleinteilige Hickhack zwischen den Geschwistern munter weiter, kommen Kränkungen, unerwünschte Einmischungen und Unzufriedenheiten auf den Tisch. Aber auch Vermittlungsversuche und das Faktum eines unauflösbaren gemeinsamen Bandes werden sichtbar. Der charismatische Schwerenöter Serge ist übrigens sowohl im französischen Original als auch in der deutschen Übersetzung titelgebend. Sein weitaus zurückhaltenderer Bruder Jean wird sich als Ich-Erzähler herausstellen. Meisterin von unbestechlicher Klarheit Die Sätze …

Hinter den Kulissen einer Buchhandlung. Mein Kurzzeit-Praktikum

Vorne im Verkaufsraum einer Buchhandlung stand ich schon oft. Bestaunte Buchrücken um Buchrücken und musste mein Geldbörserl fest an mich gedrückt halten. Denn was anderen mit Kleidung oder Sportartikeln passiert, geschieht mir in einer Regemäßigkeit mit Büchern. Ich werde unvernünftig. Ich kaufe mehr ein, als ich brauche und was das Allerschlimmste ist: ich bereue es nie! „Darf ich hier ein freiwilliges Praktikum machen?“ Mit dieser Frage stand ich eines schönen Tages im April in der „Lainzer Grätzlbuchhandlung“ im 13. Bezirk vor Helena Prinz, der Inhaberin. Das kleine und feine Buchgeschäft ist bereits in dritter Generation in Frauenhand und bis obenauf und manchmal darüber hinaus mit Büchern und ausgewählten Papeteriewaren versehen. Neu erschienene Romane und Erzählungen, Bildbände zu Triest und Sachbücher sind hier zu finden. Und immer noch gibt es eine verborgene Schublade in dem einräumigen Geschäftslokal zu entdecken, aus der Anlasskarten oder Mitmachbücher für Kinder hervorgezaubert werden. Eine Buchhandlung eröffnen? Wie realistisch ist es, statt nur Bücher zu lesen und über diese zu schreiben, sie auch zu verkaufen? Geht das ohne Buchhandelslehre? Wie kann die …

Eine ukrainische Familiengeschichte „Rote Sirenen“

Ja, ich bin auch so eine von denen. Vor Beginn des Ukrainekriegs letzten Jahres, wusste ich im Grunde nationalgeschichtlich und geopolitisch zur Region in und um die Ukraine erschreckend wenig. Die Annektierung der Krim im Jahre 2014 haben wir im Freundeskreis zwar an unseren Bildschirmen verfolgt und zum Teil heftig diskutiert, aber immer mit einer gewissen hilflosen Distanz. Umso mehr hat mich der Roman „Rote Sirenen“ über eine ukrainische Familiengeschichte regelrecht „angesprungen“. Kann ich womöglich mehr über diese Region und aus der Binnensicht erfahren? Eine Auslandsukrainerin als Autorin Der Roman stammt aus der Feder von Victoria Belim, einer gelernten Parfümeurin, Journalistin und Bloggerin zu Düften, die als Teenager mit ihren Eltern in die USA migrierte und heute in Belgien lebt. Mehrheitlich spielt das autobiografische Werk in der zentralukrainischen Region Bereh, wo die Auslandsukrainerin Belim sommerweise glückliche Kindheitstage in den Gärten ihrer Großmutter verbrachte. Spurensuche in der Heimat Nach einem aktuellen Streit mit ihrem Onkel versucht die inzwischen junge Erwachsene nicht nur den Kontakt mit ihrer noch immer in Bereh lebenden Großmutter wieder zu intensivieren, sondern …