Mit Kindern leben, Natur entdecken
Leave a comment

Urban nature – schiach und wunderbar!

Wienfluss

Jetzt mal ehrlich Hand auf’s Herz, sind kleine verbliebene Naturareale inmitten der Stadt nicht so ziemlich das Letzte, wo man/frau/mensch sich aufhalten will? Ich spreche aus Erfahrung, denn ich bin mindestens einmal wöchentlich kinderbedingt an so einem Ort, nämlich dem Wienfluss. Das heißt, die Kinder wollen hin und ich gehe mit. Irgendwo zwischen Kloake und dumpfem Autobahngeratter lässt sich an braungrünem Gewässer dann so etwas wie ein kleines Fleckerl Großstadtwildnis entdecken. Urban nature heißt das im Fachjargon. „Schiach“ könnte man es auf gut wienerisch auch nennen.

Denn laut, stickig und häufig muffig geht es dort zu. Und doch, den ersten echten Riesenhirschkäfer in live habe ich ebendort erlebt. Wie der bedächtig marschierte mit seinen langen Hörnern vorne dran. Sehr beeindruckend. Bisher kannte ich den nur aus Büchern.

Der Wienfluss

Für alle Nichtwiener_innen unter euch, beim Wienfluss handelt sich um einen Stadtfluss, der in seinem Verlauf reguliert wurde. Wer sich im Wienflussbecken befindet, befindet sich in einem betonierten Kanalschacht einige Meter unterhalb der Stadt durch den ein zentraler Fußgänger- und Radweg führt. Oberhalb des Kanals befindet sich der übliche Stadtverkehr.

Von Kindern lernen

Bis ich Kinder hatte, hätte ich die Wienflussgegend allerhöchstens als mehr oder minder brauchbaren Radweg gelten lassen. Doch seit wir vor etwa zwei Jahren nach Wien-Hütteldorf gezogen sind, weiß ich, dass das Wienflussbett der allerschönste Ort der Stadt, wenn nicht sogar der ganzen Welt ist. „Mama, gibt es etwas Schöneres als den Wienfluss?“, fragt mich allen Ernstes mein (damals) 5-Jähriger. Seine Augen glänzten dabei erwartungsvoll. Puh. Was bitte sieht er, was ich nicht sehe?!

Naturräume eigenständig erobern

In Nordamerika gibt es einen ganzen Forschungszweig, der sich mit der Wichtigkeit von Natur- und Wildniserfahrungen von Kindern und dem hohen Stellenwert dieser für die Autonomieentwicklung befasst. Dabei sprechen die Forscher_innen nicht von einem verloren gegangenen „Du auf Du“ mit dem Wolf, sondern davon, wie Kinder sich Naturräume auf ihre eigene Weise erobern, ohne hierbei von Eltern oder anderen Erwachsenen ständig angeleitet zu werden. Diese Orte müssen – und jetzt aufgehorcht – nicht unbedingt klassisch schön sein, nur möglichst unberührt und eben wild. Richard Louv, der Autor des Buches „Das letzte Kind im Wald. Geben wir unseren Kindern die Natur zurück“ nennt selbst das wuchernde Gestrüpp zwischen aufgelassenen Eisenbahngleisen ein geeignetes Lern- und Entwicklungsfeld.

Wasser

Für das erwachsene menschliche Auge bedarf es zwar eines großen Sprungs weg von der Matterhornpostkartenidylle hin zu Fauna und Flora inmitten alter Eisenbahngleise. Oder eben zu den Naturschönheiten im Wienflussbecken. Doch überall gibt es etwas zu entdecken und Abenteuer zu erleben. Mit den Augen meines Sohnes betrachtet, lässt sich sehen, wie der Fluss sich ständig verändert, mal ist es fast ein ausgetrocknetes Flussbett, nach nur wenigen Tagen Regen ist es häufig schon überschwemmt und der Fluss plötzlich wild und reißend. Wie schnell das wechselt. Ja, es ist ein Stück wilder Fluss zu beobachten und das mitten in der Stadt!

Steine und Äste

Und dann erst die Steine und angeschwemmten Äste, die es da gibt. An manchen Stellen des Wienflusses und je nach Wasserstand befinden sich dort nämlich kleinere Ausbuchtungen. Ein Spielarsenal erster Güte liegt dir da zu Füßen. Da ist Duplo nix dagegen.
Wie schwer zu tragen und wie laut im Aufprall auf der Wasseroberfläche ist ein sehr großer Stein oder wie klingt es, wenn mehrere kleine gemeinsam reinprasseln? Wie schnell schwimmt ein nasses Holzstück, wie schnell im Vergleich dazu ein gefundener hohler Bambusstock? Gar nicht mal so unsportlich das Ganze. Wer einmal eine Stunde durchgehend Steine auf bestimmte Ziele geworfen hat, weiß, was ich meine. Das Balancieren und Kraxeln auf unebenen Steinen haben bestimmt auch die Koordination unserer 2-Jährigen geschult.

Tiere

Und schließlich die Tierwelt. Die kann was. Hat etwas gebraucht, kann ich aber inzwischen anerkennen. Bekannte und weniger bekannte Tiere aller Art tummeln sich hier und pfeifen scheinbar ebenso auf die menschlich erbauten Hässlichkeiten wie wir. Ich habe tatsächlich kürzlich einen Fischreiher gesehen, der einen Fisch in Windeseile aus dem Wasser gezupft und ihn elegant in den Rachen runter verschwinden ließ, und das alles nicht in Nevada, sondern in damned fucking Vienna! Weißt du, wie lange du da vor dem Zoogehege stehst und maximal erlebst, wie ein Vogel sein Gefieder putzt? Die Horden gefräßiger Stechmücken, die in der Zwischenzeit auf mich losgegangen sind, habe ich übrigens erst im Nachhinein bemerkt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert