„Mama, ich mag dieses neue Buch, dieses Gefühle-Buch sogar sehr.“ Meint mein Volksschulkind. Interessant. Ich nämlich auch. Ich weiß nur nicht, was ich lieber mag, das Ziel des Buches, den Zugang von Kindern zu ihren Gefühlen zu stärken oder die exklusive und schöne Mama-Sohn-Zeit, wenn wir das Buch „Das gute Gefühl“ allabendlich zur Hand nehmen. Hmm … Oder sind es einfach die verschiedenen wohligen Erinnerungen, die beim nochmaligen Teilen schöner Erlebnisse hochkommen? Da sind nicht selten ein paar Überraschungseffekte dabei, ich staune, was alles aus Kindersicht als „schön“ wahrgenommen wird und wie viele Gefühle tagtäglich im Spiel sind.
Jedes Gefühl hilft weiter
Seit exakt einer Woche, wir sind bei Tag 7, füllen wir nun das Gefühle-Tagebuch aus. Den Tipp dazu haben wir von einer Freundin erhalten. Sie hat gute Erfahrungen mit diesem mit ihrer Tochter gemacht, die ansonsten nicht sehr mitteilsam ist. Das kann ich für meinen Sohn zwar nicht unbedingt behaupten, aber irgendwie ist der Zugang zu Gefühlen und mehr noch das Mitteilen dieser wirklich keine so einfache Sache. Was war das noch mal? Wo gehe ich um? Warum geht es mir grad so? Wohin mit all der Aufregung? Muss ich mich dafür schlecht fühlen? Die letzte Frage beantwortet das Gefühle-Buch eindeutig mit „Nein“. „Jedes Gefühl ist ein gutes Gefühl“, lautet die Hauptbotschaft. Manche Gefühle haben vielleicht ein schlechtes Image oder fühlen sich nicht unbedingt immer angenehm an, wie etwa Neid oder Angst, aber auch diese haben eine wichtige Funktion und können in einer guten Dosis nützlich sein.
Der Aufbau
Das Buch ist denkbar einfach aufgebaut. Zunächst werden die einzelnen Gefühle, liebevoll als unterschiedliche „Gefühlsmonster“ gezeichnet, vorgestellt. Dann folgen pro Tag jeweils drei Fragen, die mit wenigen Sätzen und dem Ankreuzen der für den Tag relevanten Gefühlsmonster beantwortet werden können. Die Fragen lauten: „Was hast du heute erlebt?“, „Was war heute besonders schön?“ und „Welche Gefühle hast du heute gefühlt?“. Als Einstiegshilfe ist ein bereits ausgefüllter Beispieltag angeführt. Praktisch ist auch das Klappfaltblatt am Ende des Buches, das alle 20 Gefühlsmonster und wofür sie noch mal stehen, zeigt. Wobei ehrlich gesagt, ich glaub, die hat man eh schnell am Radar. Alle 10 Tage gibt es dann ein kleines Rätsel oder etwas zum Basteln und Ausmalen, das wohl als Motivation zum Dranbleiben gedacht ist. Hierbei gehen die Herausgeber*innen, Jan Lenarz und Milena Glimbovski, auf Altbewährtes: Monster ausmalen, Zahlen nachfahren, Fehlersuchbild, … Nach 100 Tagen ist dann Schluss und großes Finale mit Monsterposter. Mal sehen, wie lange wir durchhalten.;-)
Was ich mag
Ich schätze insbesondere die Schlichtheit des Buches. Die Monster sind zwar schön bunt, aber ansonsten ist alles sehr wiederholend, viel weiße Fläche, überschaubare Texteinheiten. Das, was den „Pepp“ ausmacht, sind die Erlebnisse des Kindes, seine Erfahrungen. Die sind hier im Zentrum. Übrigens gar nicht so einfach für den begleitenden Elternteil, sich zurück zu halten und nicht die eigenen Gedanken zum Tag aufzudrängen. Eine gute Übung also auch für Erwachsene in zen-basierter Zurückhaltung. Zugleich ist erstaunlich, welche Erkenntnisse es in nur kurzer Zeit gibt. Etwa haben wir entdeckt, dass an sogenannten gewöhnlichen Tagen mehr Gefühle rum sind als an actionreichen Tagen. Also genau umgekehrt als man vielleicht vermuten würde. Aber da macht sicher jede und jeder seine eigenen coolen Entdeckungen.
Lasst die Gefühlsmonster tanzen
Das tägliche Ausfüllen dauert ungefähr 10 Minuten. Wobei das von Kind zu Kind bestimmt unterschiedlich sein kann. Zu Beginn und zum Kennenlernen der einzelnen Monster sollte man sich auf jeden Fall etwas mehr Zeit nehmen.
Ab Schulbeginn ist es besonders geeignet, in manchen Fällen vielleicht auch schon vorher. So ab 7 oder 8 Jahren können manche Kinder womöglich schon selbstständig ausfüllen, wenn sie das wollen.
Was „ans Herz geht“, ist ebenfalls sehr unterschiedlich: eine selbst zusammengebaute Legofigur, das Wiedersehen mit einer Freundin, Geschwisterstreit. Als Mama oder Papa (oder andere Bezugsperson) kommt man* vielleicht gar nicht so oft vor, als man* sich das erhofft. Buhuu. Das ist echt hart. Großes Traurigkeitsgefühl. Och, diese Gefühle … Ich weiß noch nicht, was dieses Buch noch alles so zu Tage befördert. Aktuell macht es uns jedenfalls sehr viel Spaß – ein Tageshighlight – und wir lernen beide viel.
Ist das nun Therapie oder Alltag?
Das Buch ist übrigens mittels therapeutischer Beratung durch die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Lena Kuhlmann entwickelt worden, von daher kommt wohl auch die Idee, stärker auf die schönen Erlebnisse zu fokussieren und jene Gefühle zu stärken, die dem Kind Sicherheit geben und seine Selbstachtsamkeit fördern. Meine Sorge, dass es eventuell zu „therapeutisierend“ angelegt ist, wurde nicht bestätigt. Die Beschreibungen der einzelnen Gefühle sind weder tendenziös noch belehrend, sondern sorgsam gewählt. Besonders gefällt mir, dass es keine offensichtlichen geschlechtlichen Zuordnungen gibt. Die Beschreibungen der Gefühle sind neutral gehalten und auch die Monster großteils neutral gezeichnet. Das ist umso wichtiger, als Gefühle im Alltag gerne als „Frauensache“/“Mädchenzeug“ abgetan werden und wir uns alle seit jeher damit viele Chancen verbauen, zu gefühlskompetenten Erwachsene zu werden.
Klimaneutral und für alle Kinder
Kleine Rückfrage an die Buchmacher*innen: Ist „Überraschung“ wirklich ein Gefühl? Und wo bitte ist die „Ungeduld“?? Die bräuchten wir dringend!!
Knappe 20 Euro kostet das Buch, nicht unbedingt günstig, aber dafür ist es immerhin ein Hardcoverbuch, mit Öko-Farben auf Altpapier gedruckt und sogar vegan. Wusste gar nicht, dass ein Buch vegan sein kann. Wenn vegan nur nicht so hipster wäre…
Schön wäre jetzt nämlich, wenn dieses Buch nicht nur die eh schon wissen reflektierten Eltern mit ihren Sprößlingen lesen. Drum wäre es zukünftig vielleicht sogar für eine Schulbuchaktion zu empfehlen. Will heißen: her mit gratis Gefühlstagebüchern für alle! Denn Gefühle gibt es mehr als genug.
Ein gutes Gefühl. Gefühlstagebuch für Kinder, erschienen im Ein guter Verlag, 2. Auflage Februar 2021. Illustriert von Nicholas Larimer.
Hinweis: Ich bin Überzeugungstäterin und werde von keinem Verlag gesponsert. Alle Rezensionen gehen auf meine Erfahrungen und die unserer Kinder mit diesen Büchern zurück.