Drogenkindheit im US-amerikanischen Nowhereland
Ein großartiger Roman. Wie das geschrieben ist. Aus der Perspektive eines jungen Mannes, Demon Copperhead, dem das Leben von Kindheitsbeinen an nicht unbedingt gut mitgespielt hat. Wie unbeteiligt erzählt er davon, was ihm widerfahren ist. Von seinen ersten Atemzügen, in einem Trailer (Wohnanhänger) von einer drogenabhängigen Teenie-Mom geboren, bis hin zum Aufwachsen in verschiedenen Pflegefamilien. Und irgendwie ist er ja tatsächlich nur bedingt Akteur. Von klein auf geschehen Dinge um ihn herum und sein persönlicher Einflussbereich ist denkbar gering. Er wächst irgendwo in einem Kaff in den Wäldern Virginias auf. Früher konnte man in der Gegend von Tabakanbau halbwegs leben und jetzt mehr oder weniger schlecht von kleinen Geschäften und illegalen Hinterhof-Verkäufen. Kein Wunder, dass Armut, Gewalt, Perspektivenlosigkeit und Drogenprobleme (vor allem der Jugend) ein großes Thema sind. Wenn es für ihn einmal gut läuft, lugt womöglich die nächste Katastrophe bereits ums Eck …
Überleben – ein Lehrstück der Resilienz
Beeindruckend, wie die Autorin Barbara Kingsolver uns mit hineinzieht in die Geschichte des Pflegekinds Demon, mit dem wir gewillt sind, mitzufiebern und bei der es bis zur letzten der über 800 Seiten nicht klar ist, ob denn überhaupt irgendwie gut ausgehen kann. Kingsolves zeigt uns nicht nur ein Stück des „kaputten Amerikas“, sondern führt uns auch das Ausmaß der sogenannten Opioid-Krise vor Augen, die auch in den Medien Furore machte. Ein legales Schmerzmittel – im Buch kurz „Oxy“ genannt – hat zu zig Abhängigkeiten geführt, war für manche ein Riesengeschäft und für manche der sichere Tod bedeutete. Aber Kingsolves zeigt uns auch ein Lehrstück der Resilienz. Dieser Junge mit den kupferroten Haaren lässt sich nicht unterkriegen. Er ist stark, klug und anpassungsfähig. Und er trifft hin und wieder auf die richtigen Leute, wie die Nachbarn Peggots, die ein Auge auf ihn haben, wenn es mit „Mom“ mal wieder schwierig ist. Weil er an die Liebe glaubt, bekommt er manchmal von ihr auch Recht. Am Ende zeigt sich die Leserin/ der Leser demütig.
Barbara Kinsolves, Demon Copperhead, dtv Münschen 2024, aus dem Englischen übersetzt.