Es war jetzt nicht so, dass uns nach intensiver Naturerfahrung in Maltatal-Kärnten und einem zweiwöchigen Campingplatzaufenthalt die Stadt abgegangen wäre. Aber irgendwie war die darauffolgende Woche in Graz-Maria Trost schon so etwas wie eine gestaffelte Rückkehr nach Wien. So eine Art schrittweise Akklimatisierung an den bevorstehenden Alltag. Immer noch sehr grün, viel Natur und weite Plätze, aber doch auch schon urban im guten Sinne: coole Cafes und Beisln, schicke Geschäfte sowie ein brauchbares Öffisystem. Bis vor kurzem kannte ich Graz tatsächlich nur aus irgendwelchen österreichischen Filmen und das, obwohl ich Österreicherin bin. Ich weiß, dass es dort den berühmten Uhrturm, die Murinsel und das wunderbar amorphe Kunsthaus gibt. Diese sehenswerten Ziele haben wir uns allerdings für später aufgehoben…
Wespenangriff und Naturziele
Wir sind stattdessen mehr oder weniger bewusst „mit der Kirche ums Dorf gefahren“, wie es so schön heißt. Also alles gesehen außer die klassischen Sehenswürdigkeiten, dabei aber auch viel erlebt. Schwerpunkt war, den Stadtschock zu mildern durch das Aufsuchen von stadtnahen Naturschwerpunkten. Wir besuchten den Grazer Hausberg Schöckl, die Lurgrotte in Semriach und genossen die Radwege in Graz. Dazwischen sind wir lesend und spazierend „abgehängt“. Die Natur hat uns dann in der Wohnung selbst am meisten eingeholt und gezeigt, dass sie nicht nur so lieblieb ist, wie wir sie gerne hätten, sondern auch ganz anders kann. Kaum hatten wir unsere Unterkunft, die Wohnung einer Grazer Freundin, bezogen, haben wir begonnen unser Leben quasi um das Wespennest im Rolladenkasten aufzubauen. Hat übrigens nichts daran geändert, dass mein Mann dann doch Opfer einer kleinen Wespenattacke geworden ist. Weil wir zwar von dem einen Wespennest wussten, aber leider nicht von dem andern. Tja, Natur in ihrer wilden Form ist eben echt nicht vorhersehbar…
Sanfte Verwilderung und Zwergeninvasion
Wild ging es sogleich weiter. Denn auf den Pferdehof Hutter in Graz-Mariatrost traut sich sowieso nur, wer keine Angst vor Verwilderung seiner Kinder und einer jederzeit möglichen Zwergeninvasion hat. Ja, richtig gehört. Manchmal breiten sich im Rahmen der dort angebotenen Wildniswochen nämlich hölzerne Minizwerge wie von Kinderhand – äh, ich meine natürlich Zauberhand – aus. Dann sind sie auf einmal überall. Auf dem Kaffeeautomaten, bei der Pferdekoppel und sogar auf Motorhauben. Und kichernde Kinder beobachten die überraschten Pferdeeinsteller und Hofbesucherinnen. Eine Woche Bullerbü-Feeling mit Schnitzen-Lernen, Feuermachen und beim Waldunterstand abenteuerlichen Geschichten lauschen. Klingt nach Kinderabenteuer? Ist es auch. Unser Sohn hat nämlich diesen Sommer an der ersten Wildniswoche am Pferdehof Hutter teilgenommen. Und am Ende jedes Wildnistages war unser Kind aber so was von grundentspannt. Die nächste Gelegenheit auf Wildnistage gibt es übrigens in den Herbstferien!
Ganz oben und…
Und während unser Sohn alltäglich im Wildniscamp weilte, haben wir mit unserer Tochter Graz und Umgebung erkundet. Wir sind mit der Gondel auf den Hausberg der Grazer*innen, den Schöckl, gefahren, der überraschend alpin für einen Stadtberg ist und mit einem Motorikerlebnispark mit Rampen ausgestattet aufwartet. Das ist in erster Linie für Rollstuhlfahrer*innen, aber auch für kletterfreudige Kinder gedacht. Wir haben uns spontan für einen Rundwanderweg entschieden, friedlich grasende Kühe passiert und die Gebirge in der Ferne bestaunt.
… ganz tief unten
Zwei Tage später sind wir in die Tiefe gestiegen und haben die Lurgrotte in Semriach, eine halbe Autostunde von Graz entfernt, besucht. Das ist eine überraschend riesige Tropfsteinhöhle, die in der Aufmachung von Außen wie aus der Zeit gefallen scheint und dessen Marketingstrategie wohl bewusst auf „Kleinhalten“ abzielt. Oder warum haben wir ansonsten von diesem Juwel noch nie zuvor erfahren? Aber wir lieben ja „aus der Zeit“. Ich gebe zu, wir sind selbst ein bisschen so. In einem Riesenraum, „Dom“ genannt, wurde sogar eine 5-minütige moderne Klang- und Lichtinstallation, ein Kampf von Gut gegen Böse, geboten. Tolle Akkustik. Insgesamt war unsere 3-Jährige allerdings noch etwas sehr jung für das Ganze, allein auch wegen der Länge der Führung und der Dunkelheit (trotz Ausleuchtung). Viel Schultersitzen also.
Grüne Radroute
Aber was mir am meisten von Graz hängen geblieben ist, ist das Radfahren. Wir sind an einem Tag von Maria Trost aus gestartet und über die Universität zum Shopping in die Stadt geradelt. Kennt ihr das auch? Dass man im Urlaub mal so richtig Zeit hat, Dinge zu besorgen, für die sonst die Zeit fehlt?? In unserem Fall eine neue Luftmatratze, Wanderrucksack und Wanderschuhe in einem Bergspezialgeschäft. Die Beratung war mittel, das Ergebnis aber sehr gut und der Radweg von Maria Trost in die Innenstadt eine Wucht. Die Grazer*innen können wirklich stolz auf ihre Radwege sein. Sicher geht noch mehr, aber ich will das auch für Wien!! Auf einmal hatte ich nicht mehr das Gefühl der Harakiri-Nerd zu sein, der, wider menschliche Vernunft, viel zu gefährliche Stadtstraßen mit dem Fahrrad befährt. Nein, hier führen Radrouten sogar durch zentrale Parks und über wichtige Verkehrsachsen und es radeln so viele, sogar mit Lastenrädern, dass wir uns auf einmal gar nicht mehr nerdig vorkamen, sondern goldrichtig. Graz – wir kommen bald wieder!