2021 rufe ich als das Jahr der Demokratie aus. War so echt nicht geplant. Aber ihr wisst eh, unverhofft kommt oft. Da ist alles auf Rückzug, Vereinzelung, Meidung sozialer Kontakte angelegt (denn eingehalten wird es angeblich ja eh nicht mehr ganz so, siehe Datenauswertung mithilfe der Tracking-App) und dann komm ich daher und mache Stimmung für mehr Gemeinschaftlichkeit, für den Blick über den eigenen Tellerrand und die bewusste Teilnahme an demokratiefördernden Aktionen!!? So richtig Antitrend also. Was soll das bitte? Ignoriere ich die aktuelle Krise? Habe ich etwa zu viel Zeit? Das habe ich mich nämlich tatsächlich auch schon selbst gefragt …
Frühlingserwachen aus der Isolierung
Aber nein, nein, und nochmals nein. So ist es nicht. Mich strauchelt es genauso wie alle anderen. Ich bin müde und will endlich mehr Sonne am Himmel (wegen der Stimmung) und Licht am Horizont (wegen der Zukunft). Aber so paradox es klingen mag: eben, weil ich gefühlt wenig Zeit habe und weil ich keine Zukunft in der dauerhaften Isolierung sehe, ist in mir der Ruf nach mehr Gemeinschaft, mehr Gemeinwohl und mehr Demokratie erwacht. Weil ich eben nicht in meiner Home office-Blase zergehen will, wie ein Pflänzchen ohne Licht und Wasser und weil ich eben nicht will, dass nachher alles wieder so ist wie früher. Demokratie und zwar lebendige, gemeinwohlorientierte Demokratie vor Ort ist der für mich einzige Weg da raus: nämlich raus aus der Krise und rein ins Vergnügen.
Mitmach-Budget
Wie alles begann, weiß ich nicht mehr so genau. Kam das Mitmach-Budget unseres Wohnbezirks zuerst rein oder war es der Beitritt zur Genossenschaft für Gemeinwohl, die uns die Versprechen einer aktiven Demokratie und die Stärkung des Gemeinwohls als greifbare Sterne am Himmel deuteten. Und wir griffen zu! Aber so was von. Wie die Wilden hauten mein Mann und ich eines Abends in die Tasten, um endlich all unsere Ideen zur Verbesserung unseres Wohnbezirks (wir leben in Wien-Penzing) auf der von der Bezirksvertretung eingerichteten Online-Plattform zur Diskussion feilzubieten. Wir kamen in einen regelrechten Rausch, was das Teilen, das Liken und Kommentieren der dargebotenen Vorschläge anbelangte. Es ging um Verkehrsberuhigungen, Einführung von Bauernmärkten, Förderung von Rad- und Fußgängerverkehr, der Stärkung öffentlicher Plätze, der Förderung von sportlichen Aktivitäten und sozialem Austausch sowie einer flächendeckenden Begrünung des Bezirks. Unser persönlicher Schwerpunkt war der Ausbau familienfreundlichen Radverkehrs und die dafür erforderliche Zurückdrängung des Autoverkehrs. Und wir waren nicht allein. 160 Teilnehmer*innen binnen ein paar Tagen, auch eine Angie war darunter. Hallo Angie, falls du das hier unbekannterweise zufällig liest, wir haben dich fest geliked.
Demokratie macht süchtig
Einmal diesen Rausch durchlebt, dass das eigene Tun – gemeinsam mit anderen Gleichgesinnten – etwas bewirken könnte, kann zu regelrechtem Suchtverhalten führen. Und während allerorts von „Entdemokratisierung“ gesprochen wird und wir pandemiebedingt tagtäglich mit der Aushebelung uns bekannter und wichtiger Freiheitsrechte konfrontiert sind (unabhängig davon, ob das nun eh gscheit und wichtig ist), halte ich es für eine hilfreiche paradoxe Intervention das Gegenteil von dem zu machen, was logisch wäre. Statt auf den „Gaul der Sicherheit“ zu setzen und etwa die eigenen Pfründe zu sichern, sind mein Mann und ich in Anbetracht einer bevorstehenden wirtschaftlichen Krise in Ausgeber*innenlaune wie selten nie. Vielleicht gibt es dafür auch einen passenden psychologischen Begriff. Hmmm… überlegüberleg. Vermeidungsverhalten etwa? Oder ist es doch Weitsicht? Ich will nicht in Aktien investieren, nicht in Betongold und anderes Gold, sondern in Demokratie. Erstens glaub ich, dass sich dies weltweit und langfristig mehr lohnt. Zweitens befreit gemeinschaftliches Handeln (Kürzestdefinition für Demokratie) den Geist, erweitert den Blickwinkel und bekämpft die eigene Angst, die ansonsten gern in Passivität verharrt, wohlgenährt vom Katastrophen-TV der letzten Monate und Tage. Nichts gegen dich, Lou.
Genossenschaft und Gemeinwohl – wie bitte was?
Endlich ist die Zeit da, sich schlau zu machen. Was gibt es für Plattformen, die ich bislang verabsäumt habe? Plattformen, die Demokratie fördern und allen zugute kommen… Mich persönlich hat dies über Umwege zur Genossenschaft für Gemeinwohl gebracht. Das ist mehr als nur Vereinen spenden, damit es anderen auch besser gehen kann (was natürlich auch supi ist und null Widerspruch darstellt). Doch die Genossenschaft arbeitet aktiv an der Verbesserung von grundlegenden gesellschaftlichen Spielregeln, ausgehend vom näheren Umfeld, mit. So werden etwa Unternehmen belohnt, die bewusst ihre Gewinne mit den Mitarbeitenden teilen oder andere Formen des Gemeinwohls fördern.
Dazu werden Genossenschaftsanteile verwendet, die jeder Interessierte erwerben kann. Das erstmalige Startpaket liegt bei Minimum 110 Euro, dann bist du dabei. Auf freiwillige Mitbestimmung der Mitglieder wird gesetzt, sie, besser gesagt wir (ihr seht, wir sind noch am Lernen), gestalten die Inhalte und den Rahmen. Es geht um Umverteilung, Klimaschutz und die Förderung sozialen Miteinanders. Das Credo lautet: Wir sind keine lonesome allesegal Konsumist*innen und keine narzisstischen Ich-AG’s, wie uns gerne weisgemacht wird.
Der gemeinsame Wert für alle
Die Genossenschaft setzt daher eben nicht bei der „Bestrafung der einzelnen Konsumist*innen“ an, sondern will schmackhaft machen, dass in die gemeinsame Zukunft zu investieren, lohnt. Auch wenn sie uns zunächst vielleicht etwas mehr kostet. Umwegrentabilität heißt das dann auch. Weil sich eben erst durch Umwege zeigt, was wirklich sinnvolle Zukunftsinvestition war. Unternehmen können sich gemeinwohlzertifizieren lassen, Banken können Gemeinwohlkonten anbieten, einzelne Mitglieder können sich über den eigenen Hausbereich hinaus engagieren und bei Abstimmungen, etwa über die Verwendung von Crowdfunding-Geldern, teilnehmen. Kommen wir zum großen „Aber“. Die Genossenschaft und das Gemeinwohlkonzept sind etwas gewöhnungsbedürftig. Warum? Weil es von der Idee her nicht darum geht, Geld zu mehren, wie wir es etwa vom klassischen Sparen her kennen (und jawohl, auch lieben, juhee, obwohl’s das eh so schon lange nicht mehr gibt, Stichwort niedrige Zinsen, seufz), sondern im Grunde eher darum, es wohldosiert in einem Nullsummenspiel anzulegen, um den allgemeinen Wohlstand, und letztlich auch unseren persönlichen, zu erhöhen. Weil Wohlstand nicht allein über Geld definiert wird! Ja, da stolperst du vermutlich drüber. Ging mir auch so. Das ist ungewohnt. Ich soll freiwillig Geld loswerden wollen, dass ich, wenn überhaupt, jedenfalls nur in gleicher Höhe wieder zurückbekomme? Aber Moment, das Prinzip kenn ich doch schon.
Das Loose-Loose-Prinzip in der Elternverwaltung
Als mein Mann und ich als Eltern in einer Elternverwalteten Kindergruppe aufgenommen wurden, hatten wir keine Ahnung, wie viel Arbeit uns erwartet. In Nachhinein betrachtet war das unser Glück (das Nichtwissen), denn vermutlich hätten wir ansonsten das Weite gesucht. Wir verstanden schon, dass Vereinsarbeit, regelmäßige Mitarbeit und Kochdienste zu übernehmen – also zweimal im Monat für alle Kinder der Kindergruppe kochen – auf uns warteten. Aber erst im Tun erfasst man das eigentliche Ausmaß. Als wir nach stundenlanger Vorarbeit, Rezept überlegen, Einkaufen gehen, Haupt- und Nachspeise liebevoll kindergerecht zubereiten schließlich das erste Mal „lieferten“ und das vernichtende Urteil: „Das schmeckt nach gar nichts,“ entgegen geschmettert bekamen, wussten wir, dass wir etwas naiv an die Sache herangegangen waren. Andererseits: mit dem lautstarken Mädchen von damals und ihren Eltern sind wir noch heute befreundet.;-)
Oder Win-Win-mit bisschen Loose?
Finanziell und arbeitsaufwandsmäßig ist die Kindergruppe eine Loose-Loose-Situation, ganz klar, denn du zahlst dafür, dass du arbeiten musst bzw. darfst. Wie dämlich ist das denn bitte? Andererseits profitieren die Kinder offensichtlich von einer lebendigen und gelebten Gemeinschaft, die neben einer hohen pädagogischen Qualität auch die Eltern mit an Boot holt. So kennen sich Eltern und Kinder derart gut, dass wechselseitige Betreuungsaushilfen locker funktionieren. Auch entstehen neben den Unterstützungsgemeinschaften viele Freundschaften, nicht zuletzt durch das gemeinsame Tun, das Streichen von Wänden, das gemeinsame Diskutieren am Elternabend, das Teilen der Sorgen und Nöte, die Mitsprache. Viele Kinder sind über die Kindergruppenzeit hinaus befreundet, ihre Fähigkeit zur Selbstständigkeit und Ausdrucksfähigkeit auffallend hoch. Und so ist das Loose gar nicht mal mehr so Loose, sondern auf einmal ein Win. Cool, gell? (Heißt nicht, dass wir nicht auch oft fluchen, wenn die Zeit für alles mal wieder extrem knapp ist.)
Beteilige sich, wer kann
Dass nur beteiligt ist, wer sich beteiligen tut, das habe ich jedenfalls erst in der elternverwalteten Kindergruppe verstanden. Und dass sich Arbeit und Lohn die Waage halten können, wenngleich kein Extra-Profit rausschaut, dafür etwas anderes: nennen wir es die „durchwirkende Kraft der Gemeinschaftlichkeit“ oder gefühlte Verbundenheit unabhängig von familiären Banden oder einfach Lebendigkeit pur. Unser Weg führte uns also in eine elternverwaltete Kindergruppe, in die Genossenschaft für Gemeinwohl und in die aktive Teilnahme am Bezirksleben. Und wo bist du so unterwegs? Welche nächsten Demokratie-Steps warten auf dich?